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10 Fragen an...

Ein neues bundesweites Modellprojekt

Claudia Drees und Gudrun Braukmann von Frauen in Arbeit e. V. im Gespräch über Betreuungsdienstleistungen, die jetzt auch mit der Pflegekasse abgerechnet werden können.

 von Dirk Hoffman (Text) und Sebastian Pokojski (Fotos)

Claudia Drees (links im Bild) und Gudrun Braukmann (rechts im Bild) beantworten unsere Fragen ONsüd-Bild: Sebastian Pokojski

ONsüd: „Es gibt ein neues Projekt bei Frauen in Arbeit. Schildern Sie kurz, was Sie seit wann wo anbieten“.
Claudia Drees: „Wir bieten hauswirtschaftliche und Betreuungsdienstleistungen an. Schon seit fünfzehn Jahren für Privatpersonen und seit  April dieses Jahres für Personen mit einer Pflegestufe. Da wir einen Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen und Pflegekassen abgeschlossen haben, können wir die Kosten über die Pflegekassen abrechnen. So kann uns jeder Mensch mit Pflegestufe, der Betreuungsgeld bekommt in Anspruch nehmen und damit die Versorgung bezahlen“.
Gudrun Braukmann:  „Es muss nicht immer nur Betreuung für Personen mit Pflegestufe sein. Die Pflegekasse kann ja erst greifen, wenn eine Pflegestufe erreicht ist. Wir betreuen grundsätzlich auch Menschen die keine Pflegestufe haben und  selber zahlen können. Diese Kunden betreuen wir schon seit fast 15 Jahren.
 Das Neue ist, dass wir seit April 2015 die Möglichkeit haben, durch die Teilnahme an dem Modellvorhaben nach § 125 SGB XI in Verbindung mit § 72 SGB XI über einen Versorgungsvertrag zu verfügen. Wir sind jetzt in der Lage auch Kunden mit einer Pflegestufe zu betreuen sowie die hauswirtschaftliche Versorgung zu übernehmen und mit der Pflegekasse diese Kosten abzurechnen ohne dass die ambulante Pflege diese Kunden fast automatisch  übernimmt“.

ONsüd: „Wer kann Ihre Dienstleistung in Anspruch nehmen?“
Gudrun Braukmann:  „Grundsätzlich jede Person, aber gerade auch Menschen deren Alterskompetenzen eingeschränkt sind, benötigen Hilfe im Haushalt und verfügen häufig nicht über das notwendige Geld, um sich eine Hauswirtschafterin zu leisten. Wenn eine Pflegestufe vorhanden ist, haben wir automatisch ein monatliches Budget von 104 €  und darüber können sie Hilfe bekommen“.

ONsüd: „In punkto Kosten: Kommen für den Dienstleistungsnehmer Kosten auf? Wenn ja, welche?
Gudrun Braukmann: „Dienstleistungen, sind von dem Zeitumfang, dem Betreuungsgrad und den notwendigen hauswirtschaftlichen Leistungen abhängig. Mit der  Pflegekasse werden die Kosten pro Einsatz und die Anfahrt  abgerechnet.
neu im Team bei Frauen in Arbeit: Claudia Drees
 Die Anfahrtskosten sind im in der Vergütung enthalten und werden grundsätzlich nur mit 1,50 € pro Anfahrt vergütet.  Die  Anfahrtskosten sind in 99% der Fälle höher als 6 km, da wir kreisweit unsere Dienstleistungen anbieten.  Deshalb müssen wir dann schauen, ob wir für eine Stunde Betreuung nach Castrop-Rauxel  oder nach Haltern fahren können, weil die Anfahrtskosten schon höher sind als die eigentliche Betreuungsleistung“.
Claudia Drees: „Von daher sprechen wir mit unseren Kunden und bitten darum, dass wir ein Mindeststundenpaket von zwei bis drei Stunden haben, damit sich die Anfahrt rechnet“.

ONsüd: „Gibt es Erstattungsmöglichkeiten?“
Claudia Drees: „Die Kostenabdeckung läuft einmal über den Anspruch auf Betreuungs-geld. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, sich über die Pflegekasse einen Teil des Geldes finanzieren zu lassen. Zum Beispiel die sogenannte Verhinderungspflege. Wir ersetzen ja in dem Moment denjenigen, der sich normalerweise um den Senioren kümmert. Das heißt, der ist verhindert und wir springen für ihn ein. Deshalb dürfen wir über die Pflegekasse refinanziert werden. Das ist noch einmal ein Budget von 1.612 € im Jahr".

ONsüd: „Was bieten Sie konkret für Dienstleistungen an?“
Gudrun Braukmann: „Haushaltsnahe Dienstleistungen, wie Waschen, Putzen, Bügeln, Fenster reinigen, kleinere Außenarbeiten, Flur wischen, Einkaufen.  Diese Dienste  bieten wir für alle Kunden kreisweit an.
Unser Ziel ist, häusliche Betreuungsleistungen und hauswirtschaftliche Versorgung,  Pflegebedürftigen der Pflegestufe I bis III sowie Versicherten, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, zu ermöglichen“.

ONsüd: „Es handelt sich bei diesem Projekt um ein Modellprojekt. Wer nimmt auf welcher  Ebene daran teil?“
Claudia Drees: „Teil nehmen unsere Mitbewerber, das sind Betreuungsdienste in ganz Deutschland, die mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen einen Versorgungsvertrag ausgehandelt haben. Hier im Kreis sind wir die einzigen. Die nächsten Betreuungsdienste, die daran teilnehmen sitzen in Dortmund und in Bochum.
Wir sind im Grundprinzip die Erweiterung eines Angebotes, das bislang nur ambulante Dienste leisteten. Ambulante Dienste haben halt den Schwerpunkt Pflege. Wir übernehmen denTeil der hauswirtschaftlichen Dienstleistung. Das Modellprojekt soll erforschen, wie die Marktlage ist, ob sich das Ganze rentiert, ob es sich strukturieren lässt, ob es sinnvoll ist“.

ONsüd: „Welches Pool an Fachkräften haben Sie?“
Gudrun Braukmann: „Wir haben für den Betreuungsdienst vier Mitarbeiterinnen sowie unsere Fachfrau Claudia Drees sozialversicherungspflichtig eingestellt. Zusätzlich haben wir noch vierunddreißig Frauen im hauswirtschaftlichen Dienstleistungsbereich. Das Besondere an den vier Frauen  und auch einem Teil der Frauen aus dem hauswirtschaftlichen Bereich, liegt darin, dass sie weiter qualifiziert sind nach dem §87b, als Betreuungsassistentinnen.
Die Weiterbildung über neun Monate zur Seniorenassistentin,  in der die Teilnehmerinnen auf Krankheitsbilder, auf hauswirtschaftliche Versorgung, Ernährung und Beschäftigung der Senioren im Privathaushalt vorbereitet werden,  wird vom Verein Frauen in Arbeit angeboten.“

ONsüd: „Welche Aufgaben und Qualifikationen hat Ihre neue Mitarbeiterin für dieses Projekt?“
Gudrun Braukmann: „Das kann Frau Drees beantworten“.
Claudia Drees: „Meine Aufgabe ist die Projektleitung, Kunden zu betreuen, anzuwerben, nach passenden Mitarbeitern zu schauen, weil es bei uns strikt so ist, dass jeder Haushalt eine feste Mitarbeiterin bekommt. Man schaut halt, dass die Chemie zwischen beiden Parteien stimmt. Die Mitarbeiterin wird eingearbeitet, und wird angeleitet. Wenn sie Probleme hat, darf sie gerne zu mir kommen. Dann wird geschaut, wie man es lösen kann. Ich organisiere die Einsätze, die Verträge, die Abmachungen und Schreiben mit den Pflegekassen. Ich helfe den Kunden beim  Ausfüllen von Anträgen. Wir erarbeiten gerade ein Handbuch; einen Notfallleitfaden auch für die Sorgen der Kollegen. Ich bin im Büro zugegen und  Ansprechpartnerin  für Menschen, die sich für unsere Aufgaben interessieren, die uns eventuell engagieren möchten, die einfach nur Rückfragen haben. Es kommen manchmal auch Anfragen von Menschen, die unsere Dienste eigentlich gar nicht brauchen, die Probleme mit der Pflegekasse haben“.
Gudrun Braukmann: „Das war auch der eigentliche Sinn der Anlaufstelle. Sie hatte nicht den Sinn, irgendwelche Events anzubieten sondern diese Veranstaltungen anzubieten, um bekannt zu werden.  Jetzt ist endlich das eingetroffen, wozu unsere Anlaufstelle immer dienen sollte, nämlich als Informations-Beratungs- und Jobstelle. Wir beraten über Hauswirtschaftshilfen, über Qualifizierungsmöglichkeiten und Jobangebote oder empfehlen auch weiter, wenn wir nicht zuständig sind. Dazu berät Frau Drees seit April 2015 täglich von 14:00 bis 18:00 Uhr in der Anlaufstelle.“
Claudia Drees: „Ich kannte Frau Braukmann vorher schon, als sie fragte, war für mich klar, dass mir das Projekt zusagt und dass ich das machen möchte“.
Gudrun Braukmann: „Ja, ich habe sie überzeugt und habe es nicht bereut. Wir sind im ständigen Kontakt. Wir haben auch die Aufgabe Berichte über den Verlauf des Modellvorhabens zu erstellen und werden genau kontrolliert, wie wir das Modell aufbauen. Wir erstellen getrennte Berichte die sich nur auf das Modellvorhaben beziehen. Und werden spätestens nach einem Jahr überprüft.
Nach einem Jahr können wir  Zahlen darstellen und anhand der Berichte und Zahlen, können wir nachweisen, ob die Wirtschaftlichkeit  belegbar ist. Aufgrund dessen können wir bezüglich der Finanzierbarkeit besser argumentieren. Nach achtzehn Monaten werden alle Modellversuche berichten, ob es Fortschritte gegeben hat  bezüglich der Machbarkeit und der Finanzierbarkeit gibt. Danach wird entschieden, ob es eine zweite Phase gibt oder nicht. Nach der vollständigen Modellphase wird das Ministerium entscheiden, welche Modelle ganz oder teilweise zukunftsweisend übernommen werden. Eine Schnittmenge aus anderen Modellen  und eventuell aus unserem wird dann ausgewählt. Im Kreis Recklinghausen sind wir die einzigen Modellteilnehmerinnen. Die nächsten Modelle sind in Bochum oder Dortmund. In ca. 3 Jahren wird  entschieden, wie es weiter geht“.

ONsüd: „Welche Erfolge müssten erzielt werden, damit das Projekt auch über das Modellvorhaben hinaus Bestand hat?“
Gudrun Braukmann: „Finanzielle Investitionen müssen sich lohnen. Wir müssen finanziell auf festen Füßen stehen und der Bürger muss es angenommen haben. Da haben wir bis jetzt schon keine Probleme“.

ONsüd: „Welche Resonanz konnten Sie bislang verzeichnen?“
Gudrun Braukmann: „Wir haben seit April 2015 schon mehr als dreißig Kunden, für die wir mit der Pflegekasse abrechnen. Wir  haben insgesamt  vierhundert Kunden und für dreißig Kunden davon rechnen wir  die mit der Pflegekasse ab“.

ONsüd: „Was wünschen Sie sich für das Projekt?“

Gudrun Braukmann: „Eine größere finanzielle Unterstützung! Sämtliche Qualifizierungen, die wir nachweisen müssen, werden zum größten Teil nicht von dem Modellprojekt finanziert. Die finanzielle Unterstützung durch die Pflegekasse beschränkt sich bis auf einem sehr geringen Betrag für Qualifizierungen auf den Versorgungsvertrag. Für Mieten, Verwaltungs- und Betriebskosten die zusätzlich entstehen gibt es keine Gelder. Diese Kosten müssen von uns selbst erwirtschaftet werden. Wenn wir unsere  finanzielle Unterstützung der ambulanten Pflege vergleichen, werden wir „stiefmütterlich“ behandelt“.

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