Kirche trifft Juristen
Die Fähigkeit zum Kompromiss
Juristentreffen mit Bischof
Genn zu religionsrechtlichen Ordnungen
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Antonius Kerkhoff, Direktor Akademie Franz-Hitze-Haus, Prof. Dr. Gernot Sydow, Prof. Dr. Hans Michael Heinig, Bischof Dr. Felix Genn, Maria Kröger, Stellvertreterin des Akademiedirektors, und Generalvikar Dr. Norbert Köster (von links) tauschten sich mit den Juristen über „Religionsrechtliche Ordnungen und zukünftige Bewährungsproben“ aus.
ONsüd-Bild: Bischöfliche Pressestelle/Ann-Christin Ladermann
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Münster (pbm/acl).
Anspruchsvollere Diskussionen über die Rolle der Religion und ihr Verhältnis
zum Staat hat Hans Michael Heinig, Professor für Öffentliches Recht,
insbesondere Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, an der Universität Göttingen,
am 12. September in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster gefordert. Heinig
sprach beim Juristentreffen des Bistums Münster, an dem auf Einladung von
Bischof Dr. Felix Genn mehr als 200 Rechtsanwälte, Richter, Notare und
Justitiare aus dem Bistum teilnahmen. Das Treffen stand unter dem Thema
„Säkular, aber nicht säkularistisch. Religionsrechtliche Ordnungen und zukünftige
Bewährungsproben“.
Zu Beginn begrüßte Münsters
Bischof Dr. Felix Genn die Juristen. „Das ist ein gesellschaftlich virulentes
Thema, das für uns als Kirche von existenzieller Bedeutung ist“, erklärte Genn.
Als das Grundgesetz und die darin festgeschriebene Offenheit des Staates
gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen verabschiedet worden sei, sei
eine Kirchenmitgliedschaft „quasi selbstverständlich“ gewesen. „Das hat sich
gravierend verändert: Die Bindung an die Kirche schwindet, andere Religionen
nehmen ihren Platz ein, und es gibt immer mehr Men-schen ohne Bekenntnis“,
fasste er die aktuelle Situation zusammen.
Genn sprach von einer
„Umbruchsituation mit erheblichem Druck auf die bisher praktizierende Art,
Religion im öffentlichen Raum staatlicherseits zu ermöglichen“. Die Kirche
müsse immer wieder die eigene Positionierung bedenken, um gesellschaftlichen
Kräften entgegenzuwirken, die eine radikale andere religionspolitische Ordnung
fordern. „Wie kann das gelingen? Und wie reagieren wir auf Akteure, die
bezweifeln, dass religiöse und nicht-religiöse Menschen mit gleichem Recht an
demokratischer Auseinandersetzung teilnehmen dürfen? Diese Fragen bewegen nicht
nur einen Bischof, sondern uns alle“, erklärte Genn.
Beobachtungen und Gedanken zur
Frage, wie die freiheitliche Ordnung vor dem Hintergrund des Verlusts der
christlichen Prägung der Gesellschaft aufrechterhalten werden könne, gab
anschließend der Referent. Um die Herausforderung der Gegenwart benennen zu
können, machte er zunächst auf die historische Prägung des
Religionsverfassungsrechts aufmerksam. „Ohne diese Kenntnis wird der von den
Kirchen zurückgelegte Weg ausgeblendet, wie sie zu den heutigen Stützen einer
liberaldemokratischen Verfassungsordnung wurden“, erklärte er.
Mit einem Blick in
parteipolitische Debatten stellte Heinig zwei entgegengesetzte
religions-politische Modelle vor. Hierarchische Ansätze, bei dem Vertreter
danach fragen, welchen Beitrag die Religionsgemeinschaften für die Umsetzung
der freiheitlichen Verfassungsordnung erbringen, findet nach Meinung des
Referenten Wiederhall in den islamkritischen Debatten der „Alternative für
Deutschland“ (AfD). „Im Wahlprogramm lässt sich erkennen, in welche Sackgassen
dieses Modell führt“, sagte Heinig. So sei immer wieder zu hören, dass der
Islam von der Religionsfreiheit nicht geschützt werde. Den Islam kenne das
Grundgesetz aber ebenso wenig wie das Christentum oder die Kirche,
verdeutlichte er. „Der Religionsbegriff ist offen für unterschiedliche
religiöse Selbstverständnisse, insbesondere schützt er auch Minderheiten.“ Die
freiheitliche Verfassungsordnung verlange vom Staat, dass er den Einzelfall in
den Blick nimmt, führte Heinig weiter aus. „Folgerichtig werden in Deutschland
einzelne Moscheegemeinden als verfassungsfeindlich verboten, andere werden vom
Verfassungsschutz beobachtet, und mit dritten kooperiert der Staat in der
Sozial-, Integrations- und Bildungsarbeit.“
Vertreter der Laizisierung
treten für die Zurückdrängung aller Religion aus der Öffentlichkeit ein.
Verstärkt beobachtet Heinig, dass auf eine solche liberale, laizistische
Ideologie zurück-gegriffen werde, um islambezogene Herausforderungen zu
bewältigen. Er sieht darin eine Gefahr: Der freiheitliche Staat im Sinne des
Grundgesetzes sei „säkular, aber nicht säkularistisch“.
Wie es mit der
religionspolitischen Ordnung weitergehe, hänge von notwendigen „produktiven
Gegenwartsdebatten“ ab, für die Heinig einige Beispiele nannte. „Wir müssen
über trag-fähige und glaubwürdigkeitsschonende Modelle diskutieren, wie
Diakonie und Caritas in den Sozialstaat eingebunden werden können als Ausdruck
von Trägerpluralität trotz verschärften, ökonomischen Wettbewerbs“, erklärte
er. Das setze das kirchliche Arbeitsrecht enorm unter Druck. „Also müssen wir
es weiterentwickeln, das ist eine Herausforderung.“ Außer-dem müsse über die
Vermittlung von Religion in der Schule diskutiert werden und über Organisationsformen
für unterschiedliche Theologien an staatlichen Hochschulen.
Wie konstruktiv sich diese
Debatten gestalten, hänge von Umständen ab, über die das Recht selbst nicht
verfüge, beispielsweise ob ein nachhaltiger Interessenausgleich zwischen
säkular und religiös gesonnenen Bürgern gelinge und ob hinzukommende Akteure
mit den ungeschriebenen Spielregeln, wie Kirche und Staat oder Gewerkschaft und
Arbeitgeber in Deutschland miteinander agieren, umzugehen wissen. „Eine
produktive Bewältigung von Religionskonflikten hängt auch von der Fähigkeit zum
Kompromiss ab“, schloss Heinig.
Prof. Dr. Gernot Sydow von der
Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster moderierte die
anschließende Diskussion mit dem Referenten.